In "Luta ca caba inda" geht es darum, die Überreste einer kurzen Phase des militanten Kinos in Guinea-Bissau im Archiv des nationalen Filminstituts (INCA – Instituto Nacional de Cinema e Audiovisual) ausfindig und wieder sichtbar zu machen (s. auch "Animated Archive"). "Luta ca caba inda" ist der Titel eines unvollendeten Films aus Guinea-Bissau, der für dieses Projekt übernommen wurde. Das Material dazu wurde Ende der 1970er Jahre gedreht und befindet sich im Archiv des INCA.
Im November 2012 fand im Arsenal eine Sichtung des Materials im Kontext von "Luta ca caba inda" und in Zusammenarbeit mit dem Kurator Tobias Hering und dem Regisseur Sana na N’Hada statt. Das gemeinsam kuratierte Programm zeichnete aus Fragmenten, Rohschnitten sowie später oder andernorts entstandenen Filmen die Skizze eines möglichen Kinos der Dekolonisation in Guinea-Bissau. Der Bildbestand und der Imaginationsraum des Archivs in Bissau wurde mit Filmen aus dem Archiv des Arsenal ergänzt und in einen kritischen Dialog gesetzt. Es folgten weitere Präsentationen beim Jeu de Paume (Paris),The Showroom (London) und ZDB (Lissabon).
Im Archiv des Arsenal befindet sich eine Kopie des Films ACTO DOS FEITOS DA GUINÉ (Fernando Matos Silva, Portugal 1981). Der Film ist eine Art Chronik des Befreiungskampfes in Guinea-Bissau (1963–1974) und enthält Material aus anderen guineischen Filmen, das dort verloren gegangen ist. Zahlreiche Filme der Kolonialgeschichte mehrerer Länder sowie des politischen Widerstands wurden im Rahmen des Berlinale Forum oder im Kino Arsenal gezeigt und sind auf diesem Weg ins Archiv eingegangen. In diesem Fall kann man von einem einmaligen Glücksfall sprechen, der die Aufarbeitung eines westlichen und eines afrikanischen Archivs durch gegenseitige Ergänzung miteinander in Verbindung bringt.
"Anfang November. Stefanie Schulte Strathaus fragt mich, ob ich an einem Living-Archive-Treffen teilnehmen und mein Projekt den TeilnehmerInnen vorstellen möchte. (…) Ich präsentiere ihnen Sollachers Sichtungsgerät und zwei Fotos des Archivraums. Einige Tage später gibt der Kurator Tobias Hering – der mich nach dem Treffen eingeladen hatte, mit ihm zusammenzuarbeiten – das Wort "Guinea-Bissau" in die Arsenal-Filmdatenbank ein und findet den Film ACTO DOS FEITOS DA GUINÉ von Fernando Matos Silva. Wir schauen ihn gemeinsam auf dem Schneidetisch. Der Film ist mir neu. Die Statuen, die ich aus Flora Gomes' Film MORTU NEGRA (Guinea-Bissau 1988) und Chris Markers SANS SOLEIL (Frankreich 1983) kenne (und von denen eine auch in meinem eigenen Film THE EMBASSY zu sehen ist, den ich Anfang 2011 in Bissau gedreht hatte), tauchen auch hier wieder auf. Matos Film, der 1981 im Berlinale Forum gezeigt wurde und heute Teil der Sammlung des Arsenal ist, arbeitet selbst mit Archivmaterial. (…)
Später im Dezember. In Lissabon interviewe ich Fernando Matos Silva. In der Cinemateca, vor einem Steenbeck, erleuchtet das Licht der flackernden Bilder seines Films sein Profil. In den Fotos, die während dieses Interviews gemacht wurden, gibt es mehr als eine Stelle, die als das Zentrum des Bildes gelten kann: In einem Bild befindet sich Silva, im Profil und mitten im Satz eingefroren, im rechten Winkel zum stillgestellten Schauspieler auf der Mattscheibe. Ihre Blicke würden sich treffen, wenn sie könnten. In einem anderen Bild, liest er das Informationsblatt des Arsenal – ein Interview mit ihm –, geführt von Viola Zimmerman im Jahr 1980. Er füllt die Hälfte meines Bildschirms, seine eigenen Worte lesend. An einer Stelle des Interviews sagt er: "Die Leute fragten mich, wie ich 500 Jahre Geschichte in 85 Minuten Film erzählen konnte..." Er zeigt auf das Vorhängeschloss auf der Mattscheibe, die Ketten, die das Tor verschließen, sind wiederverwendete Ketten von Sklaven.
Januar 2012. Zusammen mit dem angolanischen Filmtechniker Victor Lopes aus der portugiesischen Kinemathek, der sich bereiterklärte mich zu begleiten, mache ich mich auf den Weg nach Bissau. Uns fällt auf, dass der Film ACTO DOS FEITOS DA GUINÉ sich im dortigen Archiv befindet. Er lebt zwischen Welten, aufgenommen in drei Archiven, die eine Linie bilden – Bissau, Lissabon, Berlin: eine Kopie im Auflösungszustand; eine in der Durchgangsstadt, die zudem das Zentrum der kolonialen Macht über Potugiesisch Guinea war; eine letzte in einem Archiv, das sich der Notwendigkeit der stetigen Neubefragung der Elemente, die Geschichte ausmachen, bewusst ist und das sich enthusiastisch zeigte, die Wiederbelebung der ersten Kopie zu unterstützen. Gemeinsam mit vier unermüdlichen Freiwilligen – Felismina Tavares, Onélio Cardoso, Joaquim Gomes und Fátima Silva – arbeite ich vier Wochen an der Katalogisierung des Archivs in Bissau und habe regelmäßige Beratungstreffen mit den Filmemachern Flora Gomes, Sana na N’Hada und dem Leiter des INCA (Instituto Nacional de Cinema e Audiovisual), Carlos Vaz. (…)
März 2012, Berlin. Nach einer Einladung in letzter Minute von Georg Dietz und Christopher Roth nehme ich an einem Performance-Tag mit dem Titel "What Happened 2081" in den Kunstwerken, Berlin teil. Gemeinsam mit meiner Freundin, der Schauspielerin Joana Barrios, drehe ich den Film CACHEU als Performative Lecture. Die Arbeit entstand aus dem Erzählstrang, der durch das wiederholte Auftauchen der Statuen als geisterhafte Erscheinungen in verschiedenen Filmen gebildet wird. Die koloniale Repräsention und ihr Fortdauern im ehemaligen Kolonialgebiet und auf der Leinwand scheint auf eine Macht zu verweisen, die auch in der Gegenwart noch latent vorhanden ist. Für mich wirkten die Statuen wie die Stellvertreter einer asynchronen Struktur, die vom Kolonialismus hinterlassen wurde und die sich in andere Formen verwandelt hat (wie etwa Korruption, geo-strategische Politik, internationale NGOs oder den multinationalen Handel von mineralischen Bodenschätzen). Sie sind Gespenster der Vergangenheit die sichtbar werden – belebt – durch das Medium Film. (…)
Im Juni 2012 nehmen Natxo Checa und ich 94 Filmrollen mit nach Berlin zur Digitalisierung. Um die Filme zu scannen benutzt der Techniker Reiner Meyer einen selbstentwickelten Prototyp. Im Laufe des Digitalisierungsprozesses erscheinen die zerlegten Statuen noch einmal, in Material, das für den unvollendeten guineischen Film GUINÉ-BISSAU, 6 ANOS DEPOIS bestimmt war.
Berlin, 22. März 2013"
(Filipa César, Living-Archive-Katalog)
CACHEU wurde im Rahmen der Living-Archive-Ausstellung (Juni 2013) in den KW Institute for Contemporary Art präsentiert. Ein weiteres Programm von "Luta ca caba inda" wurde im Kino Arsenal präsentiert.
Dank an Enoka Ayemba, Edwige Baron, Ute Baron, Joana Barrios, Suleimane Biai, Matthias Biber, Tobias von dem Borne, João Botelho, Franziska Brode-Keil, Anna Canby Monk, Dulce Maria Cardoso, Isabel Carlos, Natxo Checa, Antje Ehmann, Rita Fabiana, Harun Farocki, Gorka Gamarra, Marta Gili, Flora Gomes, Cristina Guerra, Doris Hegner, Tobias Hering, Tanja Horstmann, Grada Kilomba, Marta Leite, Mónica Lima, Nuno da Luz, Colin MacCabe, Chris Marker, Lúcia Marques, Diana McCarty, Doreen Mende, Philip Metz, Reiner Meyer, Avi Mograbi, Eglantina Monteiro, Sara Moreira, Lætitia Moukouri, Christian Ndombi, Sana Na N’Hada, Silvia Nissen-Hülse, Filipa Oliveira, Júlio Pereira, Emily Pethick, Stefan Pethke, Alexandra Pinho, António Pinto Ribeiro, Marta Ponsa, Christopher Roth, Markus Ruff, David Rych, Manuela Sambo, Silvia Scharf, Stefanie Schulte Strathaus, Catarina Simão, Valerie Smith, Inês Teixeira, Mark Waschke und Florian Zeyfang
Biografie von Filipa César
Bildnachweis: Still aus GUINE-BISSAU, 6 ANOS DEPOIS, 1980 (nicht fertiggestellter Film) © INCA Guinea-Bissau, José Cobumba, Josefina Crato, Flora Gomes, Sana na N’Hada