Über einen Projektzeitraum von zwei Jahren wurden 38 KuratorInnen, FilmemacherInnen, KünstlerInnen und andere Forschende eingeladen, Projekte aus dem Archivbestand des Arsenal zu entwickeln. Das Konzept beruht auf dem Gedanken, dass Projekte, die in ihrer Entwicklung Archivarbeit leisten und Handlungsbedarf feststellen, bewusst initiiert werden können, um Forschung, Erhalt und Veröffentlichung im Kontext zeitgenössischer kuratorischer und künstlerischer Praxis diskursiv miteinander zu verbinden. "Living Archive – Archivarbeit als künstlerische und kuratorische Praxis der Gegenwart" stellt damit den Versuch einer zeitgemäßen Archivaufarbeitung dar, die nicht nur dem Selbsterhalt dient, sondern gleichzeitig Neues schafft und Zugänge herstellt. Das Projekt wurde von der Kulturstiftung des Bundes und der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin gefördert.
Jeder/m TeilnehmerIn standen ein Budget für die Projektdurchführung zur Verfügung. Außerdem konnte auf materielle Ressourcen zurückgegriffen werden, wie die Räume des Arsenal mit Schneidetischen, Sichtungsplätzen, zwei Kinos, Fachpersonal, sowie die Unterstützung durch Kopierwerke und technische Dienstleister, die dem Haus verbunden sind.
Um einen regelmäßigen Erfahrungsaustausch sowie einen begleitenden Diskurs über das Arsenal im Speziellen und Fragen an den Umgang mit Archiven und Geschichtsforschung im Allgemeinen zu ermöglichen, wurde jeden Monat ein gemeinsames Kolloquium durchgeführt.
Daran gekoppelt war auch die Veranstaltung Öffentliche Sichtung im Kino Arsenal. Neben den Sichtungen am Schneidetisch bot dieser Rahmen die Möglichkeit zur Begutachtung der Filmkopien auf der Leinwand, sowie einzelne Filme in größerer Runde zu diskutieren. Diese Veranstaltung bleibt weiterhin Teil unseres Kinoprogramms und bietet der Öffentlichkeit die Möglichkeit zu Einblicken in das Archiv des Arsenal.
Das Living-Archive-Festival
Im Juni 2013 wurde an zwei Veranstaltungsorten, dem Kino Arsenal und den KW Institute for Contemporary Art, in 48 Vorführungen, Diskussionsveranstaltungen und Performances sowie in einer Ausstellung rund 300 Filme aus der Sammlung des Arsenal präsentiert. Sie waren das Ergebnis der zweijährigen Recherche und Projektentwicklung der TeilnehmerInnen. Die unterschiedlichen Ansätze und Perspektiven wurden in einem umfangreichen Katalog mit Textbeiträgen von allen Projektteilnehmern veröffentlicht, der bei b_books erschienen ist. Ergänzt wurde die Publikation durch eine Einführung der Projektleiterin Stefanie Schulte Strathaus und eine kommentierte Filmografie. Eine zweite Veröffentlichung, die auf den Erfahrungen und Erkenntnissen des Projekts aufbaut, ist in Planung.
Im Rahmen von Living Archive sind weitere Publikationen erschienen: Madhusree Dutta und Ines Schaber haben im Rahmen ihres Projekts KEYwording einen Blick auf die Verwendung von Schlagwörtern in Filmkatalogen geworfen. Der Katalog NOW! (Extended) dokumentiert eine Ausstellung der Klasse von Hito Steyerl (UdK Berlin) zum gleichnamigen Film von Santiago Alvarez (Kuba 1967), ergänzt durch mehrere Essays. Ende 2013 erscheint das erste Cahier der Cimatheque in Kairo, das die Projektteilnehmerin Ala Younis ausgehend von Filmen aus dem Archiv des Arsenal gestaltet.
Dank Living Archive konnten durch Digitalisierung, Kopienerneuerung, Vertragsverlängerung oder Neuaufnahme 16 Filme ins aktuelle Verleihprogramm übernommen werden, darunter der Anti-Apartheid-Film COME BACK, AFRICA (1958) von Lionel Rogosin, Laura Mulveys und Peter Wollens Klassiker des feministischen Films RIDDLES OF THE SPHINX (1977) sowie das zu Unrecht vergessene Werk ORG (1968–78) von Fernando Birri. 13 neue Filme und Installationen sind im Rahmen von Living Archive entstanden. In Zusammenarbeit mit der Filmgalerie 451 sind fünf DVDs mit insgesamt 30 Filmen von Riki Kalbe, Philip Scheffner, Deepa Dhanraj, Sheila McLaughlin und Lynne Tillman sowie Laura Mulvey und Peter Wollen herausgegeben worden. Drei weitere DVD-Projekte sind in Arbeit, darunter die noch weitgehend unbekannten Experimentalfilme des Berliner Künstlers Ludwig Schönherr.
Zwei Filmprogramme wurden über die Vorführungen im Arsenal hinaus für eine deutschlandweite Tour angelegt: Die Teilnehmerin Merle Kröger initiierte das Projekt World in Progress. Kommunale Kinos konnten aus einem einzigartigen Filmpool aus über 30 Filmen auswählen, die seit 2007 von arsenal distribution erworben wurden und sich formal und inhaltlich mit Leben und Überleben, mit Arbeit, Identität und Vision auseinandersetzen. Sabine Schöbel kuratierte die Filmreihe El cine de la Transición mit spanischen Undergroundfilmen gegen das Franco-Regime, die demnächst durch die Kommunalen Kinos touren wird.
Living Archive wird weiterhin die Arbeit des Arsenal bestimmen und einen aktuellen Umgang mit den medialen Bedingungen der Arbeit mit Film aufzeigen. Ein Großteil der Teilnehmer hat bereits angekündigt, die eigene Arbeit mit der Filmsammlung des Arsenal über den Projektzeitraum hinaus fortsetzen zu wollen.
Die TeilnehmerInnen des Projektes waren: Madeleine Bernstorff, John Blue, Ellen Blumenstein, Oksana Bulgakowa / Dietmar Hochmuth, Filipa César, Vaginal Davis, Martin Ebner, Heinz Emigholz, Entuziazm (Michael Baute, Volker Pantenburg, Stefan Pethke), Harun Farocki, Anselm Franke, Stephan Geene, Nanna Heidenreich, Tobias Hering, Brent Klinkum, Merle Kröger, Eunice Martins, Angela Melitopoulos, Avi Mograbi, Sabine Nessel, Winfried Pauleit, Constanze Ruhm, Susanne Sachsse, Ines Schaber, Philip Scheffner, Stefanie Schlüter, Sabine Schöbel, Marcel Schwierin, Marc Siegel, Hito Steyerl, Dorothee Wenner, Ian White, Nicole Wolf, Florian Wüst, Florian Zeyfang.
Teilnehmende StipendiatInnen des Goethe-Instituts: Madhusree Dutta (Bombay), Darryl Els (Johannesburg), Ala Younis (Amman), Joel Pizzini (São Paolo), Shai Heredia (Bangalore), Lauren Howes (Toronto).
Das Projekt "Living Archive – Archivarbeit als künstlerische und kuratorische Praxis der Gegenwart" wurde gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes und die Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin. Das Stipendiatenprogramm im Rahmen des Projekts Living Archive wurde gefördert durch das Goethe-Institut.