Wir konzentrieren uns bei unseren Ausflügen ins Arsenal-Archiv auf die 50 Filme, die 1978 im Internationalen Forum des Jungen Films gezeigt wurden. Dabei folgen wir den Vorlieben der Gruppe: Kino-Selbstreflexionen, experimentelle Formen, Filme aus der/über die so genannte Dritte Welt, Dokumentarfilme. Eine wichtige Rolle bei der Recherche spielen neben schriftlichen Materialien und Dokumenten aus dem Arsenal-Archiv auch Gespräche, die wir mit Erika und Ulrich Gregor sowie mit weiteren Zeitzeugen führen wollen.
Am Ende des Sichtungsprozesses einigt sich die Gruppe auf einen Film. Dieser Film wird digitalisiert und bildet die Grundlage für eine filmische Filmanalyse. Aus den Bildern und Tönen des Films und in Kombination mit den Ergebnissen der Recherche entsteht ein "Filmvermittelnder Film" von 10 bis 15 Minuten Länge. In einer Veranstaltung im Kino Arsenal wird der ausgewählte Film gemeinsam mit unserer Analyse vorgeführt. Im Idealfall entsteht am Ende des Projekts eine DVD, die beide Filme gemeinsam präsentiert.
Der systematische Zugriff auf die ca. 8000 Filme des Arsenal-Archivs kommt allenfalls für professionelle Archivare in Frage. Unmöglich, bei tausenden von Stunden Filmmaterial "vorne" (historisch oder räumlich, bei "Regal 1") zu beginnen und sich seinen Weg hindurchzusichten. Zwei Möglichkeiten bieten sich uns als Startregeln an, um einen Teil aus dem unüberschaubaren Feld herauszulösen: Hedonismus und Kontingenz. Wir stellen deshalb ohne Ansehen des Bestands eine Regel auf und lassen diese Regel für uns entscheiden. Die Idee des zufällig ausgewählten Jahrgangs kann eine solche Regel sein. Sagen wir: 1978.
In den letzten Jahren hat es verschiedene Versuche gegeben, statt vertikal in die Vergangenheit hineinzuhorchen horizontal eine Tranche herauszuschneiden und einen Jahrgang genauer in Augenschein zu nehmen. Stichproben in Kultur und Geschichte. Ein Buch: "1926. Ein Jahr am Rande der Zeit"; eine Ausstellung in der Kunsthalle Bielefeld: "1937"; ein Symposium in Schloss Solitude: "Around 1973. Historicism, Self-Cause, Popular Culture"; eine weitere Ausstellung in Barcelona: "1979. A Monument of Radical Moments". Zwei verschiedene Intuitionen können den Ausgangspunkt solcher Projekte markieren: (1) Die Hypothese, dass dieses Jahr – ohne, dass dies genügend gewürdigt worden wäre – ein besonderes Jahr ist, in historischer, ökonomischer, kultureller oder irgendeiner anderen Hinsicht. (2) Die Intuition, dass gerade das Normale und Unspektakuläre eines Jahres aufschlussreich sein könnte, unabhängig davon, welches Jahr man auswählt. Von dieser zweiten Hypothese geht unsere Auseinandersetzung mit dem Jahrgang 1978 des Arsenal-Archivs aus.
Was heißt 1978 bezogen auf ein Filmarchiv? Gemeint sein kann das Produktionsjahr des archivierten Films, gemeint sein kann das Jahr, in dem der Film ins Kino kam. Gemeint sein kann das Jahr, in dem der Film Eintritt ins Archiv fand. Gemeint sein kann im speziellen Fall des Arsenal-Archivs auch der Jahrgang des "Internationalen Forums des Jungen Films", der Berlinale-Sektion, die von den Freunden der Deutschen Kinemathek organisiert wurde, denn die meisten (oder alle?) im Forum gezeigten Filme haben anschließend den Weg ins Archiv des Arsenal gefunden. Für uns ist ausschlaggebend, welche Filme 1978 ins Archiv kamen, durch eine Teilnahme am Forum oder aus anderen Gründen. Jedes Jahr hinterlässt im Archiv, wie bei wachsenden Bäumen, einen Jahresring. Den Jahresring 1978 wollen wir uns genauer anschauen.
Ein Projekt von ENTUZIAZM e. V.
Michael Baute, Volker Pantenburg, Stefan Pethke, Stefanie Schlüter