Das Projekt "B-Schemes" widmet sich einer gründlichen Archivrecherche, kritischen Aufarbeitung und Wiedersichtbarmachung eines bis dato noch wenig erforschten Korpus von südafrikanischen Filmen: den Filmen des "B-Schemes", eines staatlichen Programms zur Förderung von "Schwarzen Filmen für Schwarze Zuschauer", das in die repressivste Zeit des Apartheid-Regimes fällt.
Hintergrund
Die Geschichte des südafrikanischen Kinos begann mit den Anfängen des Kinos 1895. Mit der kolonial geprägten Industrialisierung kam alsbald auch der Film. Kino hat in der Vorstellung der südafrikanischen Öffentlichkeit jedoch stets eine kritische Rolle gespielt, sei es weil es als Agent der Staatsideologie durchschaut wurde, oder als dessen subversiver Gegenpart fungierte. Tatsächlich spiegeln sich die politischen Phasen der Geschichte Südafrikas in seinem Kino, nicht zuletzt aufgrund eines aktiven staatlichen Interesses, die Wirkung des Mediums und damit seine Zuschauer zu kontrollieren. Es verwundert daher nicht, dass insbesondere Filme und Filmgenres der Vergangenheit seit Ende der Apartheid wenn nicht mit ausdrücklicher Ablehnung, so doch von südafrikanischen WissenschaftlerInnen mit Skepsis bezüglich ihrer Relevanz und Ausrichtung gehandelt werden.
Dies ist der Fall bezüglich eines Korpus' südafrikanischer Filme, die zwischen 1972 und Ende der 1980er Jahre produziert wurden, der Filme des sogenannten "B-Schemes". Während der repressivsten Phase des Apartheid-Regimes rief der Staat ein subventioniertes Programm ins Leben, das auf die Produktion "Schwarzer Filme für schwarze Zuschauer" abzielte. Das Programm wurde "Bantu Cinema" genannt und alsbald unter dem Namen "B-Schemes" bekannt. In seinem Rahmen wurde die Produktion von Hunderten von Filmen gefördert.
Vergleiche mit der zeitgleichen Entstehung der Blaxploitation-Filme in den USA oder mit Filmbewegungen während der Dekolonisierungsprozesse (z.B. in Algerien, Senegal oder Mosambik) liegen nahe, spiegeln aber wiederum nur die Besonderheit der B-Schemes-Filme und die zunehmende Isolation Südafrikas während der Apartheid.
Bis heute ist diese Phase der südafrikanischen Kinogeschichte weitgehend unbekannt. Die forschende und kuratorische Arbeit mit diesem Material möchte nicht nur einen wichtigen filmhistorischen Beitrag leisten, sondern beteiligt sich auch – indem sie den Filmen ein heutiges Publikum und damit neue Wahrnehmungsmöglichkeiten erschließt – an einer allgemeinen kritischen Bestandsaufnahme der Geschichte.
Die Recherche beginnt im National Film, Video and Sound Archive (NFVSA) in Pretoria, das mit der umfassenden Archivierung beauftragt ist und die ergiebigste Quelle für südafrikanische Filme darstellt. Die meisten Archivdaten stammen aus einer Anfangsrecherche im NFVSA. Im Laufe des Projekts, insbesondere bei der Ermittlung der Rechteinhaber und der Kopienlage einzelner Filme, wird sich die Suche möglicherweise auch auf andere Archive und Institutionen erweitern. Wie in vielen postkolonialen Gesellschaften besteht auch in südafrikanischen Archiven ein Spannungsverhältnis zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, zwischen verlorenem und gefundenem Material, und es geht auch hier um eine kritisch-aktualisierende Auseinandersetzung mit dem historischen Material.
"B-Schemes" hat die inhaltliche Aufarbeitung des vorgefundenen Filmmaterials und seiner zeitgenössischen Wahrnehmung zum Ziel. Im Rahmen des Projekts werden im Kino Arsenal sowie im The Bioscope Independent Cinema (Johannesburg) einige Filme aus dem Konvolut des B-Schemes wieder sichtbar gemacht. Eine Re-Kontextualisierung dieser Filme wird einerseits mit Recherchen an den ehemaligen Vorführorten (Interviews, Recherche zu Kinostandorten beispielsweise in Soweto) geleistet, aber auch unter Hinzunahme der Recherchen und Ergebnisse der anderen Teilprojekte von Visionary Archive stattfinden. Damit sollen Spezifika, aber auch Parallelen und Ungleichzeitigkeiten, neues Material und neue Fragestellungen erschlossen werden.
Simon Sabela, Ken Gampu und Gibson Kente
Filmwissenschaftler haben in den letzten 25 Jahren die B-Schemes-Filme weitgehend als Apartheid-Propaganda interpretiert. Der Literatur- und Medienwissenschaftler Litheko Modisane hielt jüngst fest, dass diese Wahrnehmung jedoch zu einer Verkennung des kritischen Potentials dieser Filme geführt hat und dass die eingehende Erforschung ihrer latenten und subversiven Implikationen noch aussteht (1). Um einen solchen "zweiten Blick" geht es in diesem Projekt. Angesichts des massiven Outputs an Filmen dieser Periode wird es sich auf drei Schlüsselfiguren konzentrieren: Simon Sabela, Ken Gampu und Gibson Kente, deren Arbeit bis dato auf eine kritische Anerkennung und öffentliche Wiederbegegnung wartet.
Anfang der 1970er Jahre schrieb Gibson Kente das berühmte Musiktheaterstück, "How Long…Must We Suffer?". 1974 setzt Kente an, einen auf dem Stück basierenden Film zu realisieren, der als erster kritischer Film eines schwarzen Regisseurs über und innerhalb des Apartheid-Regimes anzusehen ist. Es wird berichtet, dass während der letzten Drehtage Kente bei einer Polizei-Razzia festgenommen und das belichtete Filmmaterial konfisziert wurde. Die Fertigstellung des Films wurde untersagt. Die Case-Study-Recherche zu HOW LONG? zielt darauf, den lückenhaften Erzählungen um diesen Film in Archiven und Zeitzeugengesprächen nachzugehen und sie zu vervollständigen.
Die bislang geleistete Forschung zu den B-Schemes-Filmen befasst sich vor allem mit narrativen Mustern, z.B. den Themen Landflucht, Gangstertum, Verbrechen. In einem Filmprogramm mit Fokus auf Simon Sabela und Ken Gampu soll es darum gehen, sich umfangreicher mit deren Filmen auseinanderzusetzen und ihre Vorführung mit Hintergrundrecherchen zu verbinden. Ein Ziel wird dabei sein, etwas über die Wirkung der Filme bei ihrem zeitgenössischen Publikum herauszufinden und dies vor einer heutigen Zuschauerschaft in Südafrika und an den übrigen Orten des Gesamtprojekts Visionary Archive zu thematisieren.
Projektleitung: Darryl Els unter Mitarbeit von Marie-Hélène Gutberlet
Darryl Els ist Programmdirektor und Mitbesitzer von The Bioscope Independent Cinema in Johannesburg. Das Kino verschreibt sich der Sichtbarmachung unabhängiger Filme und Video-Arbeiten. Darüber hinaus arbeitet Els als Filmforscher und kuratierte bereits etliche Programme auch für Institutionen im Ausland, unter anderem im Rahmen von Forum Expanded auf der Berlinale 2011 (gemeinsam mit Claus Löser). Im Jahr 2012 war er Teilnehmer von "Living Archive – Archivarbeit als künstlerische und kuratorische Praxis der Gegenwart" (s. a. "Shifting Grounds: Reflections on National Identity in the Archive“) und arbeitete in diesem Rahmen mit einem mehrmonatigen Stipendium des Goethe-Instituts beim Arsenal in Berlin.
Marie-Hélène Gutberlet studierte Kunstgeschichte, Philosophie und Filmwissenschaft in Frankfurt/Main und Basel (Dr. Phil.) und arbeitet als freie Kuratorin, Publizistin und Filmwissenschaftlerin. Sie ist Mitgründerin der Experimentalfilmreihe "reel to real" (seit 2003 in Frankfurt/Main) und Ko-Initiatorin des Projekts "Migration & Media" mit Symposien und Ausstellungsprojekten – zuletzt "Shoe Shop" (Johannesburg 2012), "The Space Between Us" (Berlin und Stuttgart 2013–2014). Zahlreiche Veröffentlichungen und Zeitschriftenbeiträge zum Afrikanischen Kino, Black Cinema, Migrations-, Experimental- und Dokumentarfilm. Marie-Hélène Gutberlet teilt sich mit Tobias Hering die künstlerische Leitung des Visionary-Archive-Projekts, in dessen Rahmen beide die Filmreihe "It all depends" im Kino Arsenal kuratieren.
(1) Vgl. u.a. Modisane, L. (2010). Movie-ing the Public Sphere: The Public Life of a South African Film. Comparative Studies of South Asia, Africa and the Middle East (30. 1) 133–146.