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Wenn man in der Wüste ist, hat man Sehnsucht nach Kuchen, nach dem Kino, nach Menschen... (Vincenzo in ANNA)

Der italienische Film ANNA von Alberto Grifi und Massimo Sarchielli, der zwischen 1972 und 1975 in Rom entstanden ist, erlebte seine Uraufführung am 6. Juli 1975 im Rahmen der Berlinale-Sektion Internationales Forum des Jungen Films. Im Zuge meiner Recherche im Archiv des Arsenal stieß ich auf diesen Film, der zuvor lange Jahre in Vergessenheit geraten war. Ursprünglich ein zentrales Werk der (Post-) 68-Bewegung in Italien1, wurde dieser erstmals wieder auf dem Filmfestival von Locarno im Jahr 2002 vorgeführt. Nach seiner Restaurierung durch die CSC Cineteca Nazionale und die Cineteca di Bologna erlebte ANNA eine Renaissance: der Film lief in der Sektion Orizzonti 1961–1978, der Retrospektive der 68. Filmfestspielen von Venedig, die sich dem italienischen Experimentalkino der Sechziger und Siebziger Jahre widmete; im Anschluss wurde er auf dem Filmfestival Rotterdam 2012 und in der Londoner TATE Gallery gezeigt, und im Jahr 2012 im Rahmen einer Werkschau der VIENNALE zu Alberto Grifi. INVISIBLE PRODUCERS will nicht zuletzt einen differenzierten Beitrag zur Rezeptionsgeschichte dieses Films leisten, indem Fragen nach der Repräsentation und nach jenen (Macht-) Verhältnissen zwischen Kamerablick und Akteurin kritisch beleuchtet werden, die dem Film zutiefst eingeschrieben sind.

Projektion

Der Film ANNA bildet das Gravitationszentrum von INVISIBLE PRODUCERS, der so zuallererst ein Film über einen anderen Film ist. Gleichzeitig wirft INVISIBLE PRODUCERS die Frage nach dem Begriff der "Projektion" als zentrales Thema auf: die Projektion einerseits als konstitutiver Anteil des kinematografischen Dispositivs (Projektor, Projektionsfläche, der Übergang von analoger zu digitaler Projektion...); andererseits – vor dem Hintergrund der zeitgleichen Entstehung der Institutionen der Psychoanalyse und des Kinos – im psychoanalytischen Sinn: die Projektion auf etwas, auf jemanden, die immer im Zusammenhang mit Formen des Begehrens steht und so auch das Verhältnis des Publikums zum Geschehen auf dem Screen strukturiert.

Zwischen diesen beiden Bedeutungen des Begriffs der Projektion wird entlang eines essayistischen Narrativs ein medienhistorischer Bogen geschlagen, der – ausgehend von ANNA – durch Filmgeschichte(n) und -theorien, aber auch durch die Geschichten von Filmfiguren und kinematografischen Aufführungsorten führt. Erzählt wird von drei sehr unterschiedlichen Kinostätten (Le Panthéon in der Rue Victor Cousin in Paris; ein im Jahr 1911 gegründetes Kino im Dorf Niigata in Japan, das heute noch von der lokalen Dorfgemeinschaft betrieben wird; und das Kino Arsenal in Berlin); von drei Geschichten zu Projektionen (von einer Kinovorführerin, die sich aus Liebe weigert, zu projizieren; von Anna Karina als Nana, die ins Kino geht und dort Dreyers Film Jeanne d'Arc sieht; und von der Rolle des Projektors in den Frühzeiten des japanischen Kinos); und von drei Figuren, die alle Anna heißen – Anna Karina, die (ansonsten namenlose) Anna aus Alberto Grifis Film, und eine dritte Anna, die nicht so heißen will.

Begleitet und kommentiert wird dieser filmische Essay einerseits von Ausschnitten aus weiteren Filmen, die aus dem Archiv des Arsenal stammen, und durch welche der Begriff der Projektion im Zusammenhang mit unterschiedlichen Formen filmischer Aufzeichnung und Repräsentation erweitert wird; auch wird eine Reihe von Textbeiträgen den Film strukturieren. Der Frage des Verhältnisses von Projektor und Projektion, von fotografischem Einzelbild und Bewegung auf der Leinwand, von Standbild und Sequenz, und von der damit verbundenen Rolle des Publikums geht der Text Le Défilement 1 von Thierry Kuntzel nach, der eine weitere Bezugsgröße von INVISIBLE PRODUCERS darstellt. Der Untertitel Appetit d‘oiseau bezieht sich auf diesen Text, der die Beziehung zwischen dem Filmstreifen im Projektor, der Projektion auf der Leinwand und dem dazwischen entstehenden Raum anhand der Analyse eines Zeichentrickfilms von Peter Foldes mit dem Titel Appetit d`oiseau näher zu bestimmen versucht. Und nicht zuletzt verhandelt INVISIBLE PRODUCERS die Beziehung von Regie und Schauspiel als spezifischen Fall von Projektion zwischen Liebe und Arbeit, zwischen Ausbeutung und Selbstermächtigung.

All diese Koordinaten werden schließlich entlang der Funktionselemente und -weisen eines analogen Filmprojektors als Modell so zu einander in Beziehung gesetzt (im metaphorischen Sinn auf den Projektor "projiziert"), dass der Apparat gewissermaßen zum Grundriss der einzelnen Kapitel des Films wird. Jedes Kapitel entspricht so in metonymischer Weise einem Teil des Projektionsgeräts. Der Film reflektiert in seiner Bauweise symbolisch die Struktur eines Projektors selbst; und wird in einem Spiegelverfahren ebenso in seinen Teilen "auf" den Projektor rück-projiziert.

Gleichzeitig wird auch die Frage danach aufgeworfen, in welcher Weise die Funktionen des analogen Projektionsapparates sich auf zeitgenössische digitale Praxisformen übertragen lassen: wie also eine "alte" Maschine als Gespenst innerhalb neuer Medien wieder erscheint. Was wird im digitalen Zeitalter aus den einzelnen Teilen des analogen Projektors? Was wird aus seinen Spulen, Führungen, Lampen und Linsen, den mechanischen Bauteilen? Und wie, wenn überhaupt, unterscheidet sich analoges von digitalem Licht?

Der Rückbezug auf Fragen archivarischer Praxis in künstlerischen Produktionen entsteht durch die Auswahl der Filme, die einem Archiv angehören, das selbst wieder, in Analogie zu den angesprochenen psychoanalytischen Diskursen und psychischen Konstellationen der Figuren, als "Psyche" einer Institution aufgefasst werden könnte, die hier symbolisch für "Kino" schlechthin gesetzt wird. INVISIBLE PRODUCERS versteht sich als Annäherung an ein flüchtiges Bild, das – um Kuntzel zu paraphrasieren – "immer im Begriff steht, sich selbst auszulöschen":

Between the space of the film-strip and the time of the projection, the film rubs out: movement erases its signifying process, and eventually, conceals some of the images which pass by too rapidly to be "seen", without, nevertheless, failing to produce a subliminal effect. (Thierry Kuntzel, Le défilement)

Biografie von Constanze Ruhm